Betriebsprüfungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sind eine – wenig beliebte – Routine für Geschäftsleiter sowie Personal- und Rechtsabteilungen. Sie treten, wie ähnlich wichtige Ereignisse (zum Beispiel die Olympischen Spiele oder auch größere Fußballturniere) in gewohnter Regelmäßigkeit alle vier Jahre auf und gehen meist ohne größere Konsequenzen vorüber. Schwerpunkte der Betriebsprüfung liegen auf der ordnungsgemäßen Beitragsabführung, den geringfügig Beschäftigten und manchmal auf der Einhaltung des Mindestlohngesetzes.
Leider ist das nicht immer der Fall: Vermehrt - und für viele geprüfte Betriebe überraschend -- kommt nach unzähligen beanstandungsfreien Betriebsprüfungen der Tag, an dem ein Betriebsprüfer Rechnungen von Subunternehmern beziehungsweise freien Mitarbeitern einsehen möchte: Oft beginnt hier ein Drama mit (mindestens) drei Akten. Eine gesetzliche Regelung, die ursprünglich dazu diente, prekär beschäftigten Personen soziale Sicherheit zu bieten und die rechtsmissbräuchlich handelnden Beschäftigungsgeber zu sanktionieren, wird nun genutzt, um legitime und gewünschte Selbstständigkeit einzudämmen.
Warum kommt es bei freien Mitarbeitern in Betriebsprüfungen regelmäßig zu Problemen?
Freie Mitarbeiter werden im betrieblichen Ablauf regelmäßig wie alle anderen Kreditoren behandelt. Das heißt, dass sie Rechnungen für erbrachte Dienstleistungen schreiben, allerdings weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge, wie es bei Arbeitnehmern üblich ist, abführen müssen. Deshalb werden sie auch nicht als Beschäftigte gemeldet. Sie laufen für die Sozialversicherung also zunächst „unter dem Radar“. Interessant wird es für den Betriebsprüfer, wenn er vermutet, dass es sich bei dem eigentlich freien Mitarbeiter um einen abhängigen Beschäftigten handelt, der der Beitragspflicht unterliegen könnte. Anhaltspunkte hierfür sind nach § 7 Abs. 1 SGB IV eine Weisungsbindung und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Nun könnte man meinen, dies durch eine passende Vertragsgestaltung ausschließen zu können. Nach der Rechtsprechung ist aber für die Beurteilung, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, nicht ausschließlich die vertragliche Grundlage relevant, sondern vor allem auch die tatsächliche Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung.
Was prüft die Deutsche Rentenversicherung konkret?
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts prüft die Deutsche Rentenversicherung zunächst den vertraglichen Rahmen, fragt darüber hinaus aber auch weitere Informationen zur praktischen Ausgestaltung der Vertragsbeziehung ab. Hierbei sind Auftraggeber und Auftragnehmer zur Mitwirkung verpflichtet.
Im Laufe der Zeit hat sich der Prüfungsmaßstab teils drastisch – und zu Gunsten der Deutschen Rentenversicherung gewandelt. Vor dem Hintergrund, dass „höhere Tätigkeiten“ generell eher unabhängig von Weisungen verrichtet werden, wird dieses Tatbestandsmerkmal mehr und mehr außer Acht gelassen und im Wesentlichen auf das Merkmal der Eingliederung in das Unternehmen bezogen. Relevant ist also vor allem, ob dem Auftragnehmer Arbeitsmittel (Ein Stethoskop bei einem Arzt kann ausreichen!) zur Verfügung gestellt werden oder ob er Zugriff auf IT-Systeme des Auftraggebers hat und auf welchem Papier er seine Dokumentation führt (zum Beispiel auf einem Vordruck seines Auftraggebers).
Eine weitere wesentliche Rolle spielt das so genannte „unternehmerische Risiko“, also eine mit dem Unternehmertum einhergehende wirtschaftliche Ungewissheit. Auch dieses unternehmerische Risiko liegt, entgegen der Einschätzung der Auftraggeber, oft nicht in einem dem Betriebsprüfer ausreichenden Umfang vor.
Früher wurde die Selbstständigkeit meist danach beurteilt, wie viele Auftraggeber ein Selbstständiger hat (teilweise wurde hier sogar auf eine Quote abgestellt). Dies hat heute bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung oder eine Selbstständigkeit vorliegt, aus Sicht der DRV kaum (noch) Relevanz. Gleiches gilt mittlerweile auch für das gezahlte, gegenüber Arbeitnehmern herausgehobene Honorar. So verweisen DRV und die Rechtsprechung gerade nicht auf die wirtschaftliche Abhängigkeit und die Fähigkeit zur Selbstabsicherung, sondern auf das Solidaritätsprinzip.
Auch die Beauftragung einer GmbH schützt nicht, wenn diese nur aus einer Person oder mehreren Gesellschaftern ohne eigene Arbeitnehmer besteht: Hier kann es auch noch zu einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung kommen.
Im Zweifel wird der Betriebsprüfen oftmals eine abhängige Beschäftigung feststellen. In den meisten Fällen wird diese Einschätzung auch durch die Sozialgerichtsbarkeit bestätigt.
Drei Akte - Was folgt auf die Betriebsprüfung?
- Kommt die Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass eine Scheinselbständigkeit vorliegt, der Auftragnehmer also in Wahrheit abhängig beschäftigt ist, folgt in der Regel ein Anhörungsschreiben des Betriebsprüfers: In diesem legt er die wesentlichen Gründe für seine Entscheidung sowie die Berechnung der voraussichtlich durch den Auftraggeber nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge dar.
- Kann das Ergebnis dieser Anhörung den Betriebsprüfer nicht umstimmen, erlässt er einen Bescheid über die Feststellung des Beschäftigungsstatus und die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Hierzu gehören auch die Beiträge zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Dieser Bescheid ist sofort zur Zahlung fällig und hat oft (auf den ersten Blick) ruinöse Konsequenzen für den geprüften Betrieb. Der Beitrag ist nicht, wie im Arbeitsverhältnis üblich, paritätisch von Auftraggeber und Auftragnehmer zu leisten. Nur ein kleiner Anteil der fälligen Forderung kann von dem Auftragnehmer verlangt werden – und dies auch nur in Form des „Lohn“abzugs.
- Auf den Bescheid folgen die Rechtsbehelfe. Hier kommt es im ersten Schritt darauf an, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Klage gegen den Bescheid zu erwirken. Widerspruch und Klage müssen dann natürlich auch erhoben werden. Die Bedeutung dieser aufschiebenden Wirkung darf keinesfalls unterschätzt werden: Bestenfalls können betroffene Unternehmen so mehrere Jahre Zeit gewinnen, um die Beitragsnachzahlung leisten zu können oder einen Vergleich mit der DRV zu suchen.
Welche Konsequenzen drohen darüber hinaus bei Vorsatz?
Bei Vorsatz droht eine Strafbarkeit nach § 266a StGB wegen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt. Hinzukommen kann eine persönliche Haftung des Geschäftsführers oder Vorstands gegenüber der DRV sowie die Veranlagung von Säumniszuschlägen. Glücklicherweise hat sich gerade die strafrechtliche Rechtsprechung zugunsten der Auftraggeber entwickelt. Vorsatz wird mittlerweile erst dann angenommen, wenn der Geschäftsleiter Kenntnis über die tatsächlichen Verhältnisse hat und auch das Auftragsverhältnis als Beschäftigungsverhältnis eingeschätzt wird.
Auswirkungen in der Praxis
Die Beratungspraxis zeigt, dass Scheinselbständigkeit immer häufiger im Fokus von Betriebsprüfungen der Deutschen Rentenversicherung steht: Auch in Branchen, die über Jahre verschont geblieben sind. Das bringt Probleme für Branchen, die vor allem mit selbstständigen Auftragnehmern arbeiten. Diese oft für beide Seiten lukrativen Geschäftsmodelle haben sich meist über Jahre entwickelt und sind bisher nicht von der Deutschen Rentenversicherung beanstandet worden.
Wenn Unternehmen feststellen, dass sie Verträge mit freien Mitarbeitern haben, sollten schnellstmöglich Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung durchgeführt werden. Das hat dann bei einer Betriebsprüfung den Vorteil, dass die Klage gegen einen Beitragsbescheid ohnehin aufschiebende Wirkung hat und diese nicht beantragt werden muss. Darüber hinaus wird der Nachweis eines Vorsatzes naturgemäß noch schwerer gelingen, wenn der Auftraggeber den Status seines Auftragnehmers aus eigenem Antrieb prüfen lässt. Wenn das Statusfeststellungsverfahren innerhalb des ersten Monats nach Beginn des Auftragsverhältnisses angestoßen wird, werden darüber hinaus Beiträge erst ab dem Datum des Feststellungsbescheids einer abhängigen Beschäftigung verlangt, sofern der Auftragnehmer zustimmt und er für den Zeitraum zwischen Beschäftigungsbeginn und Bescheid selbst kranken- und rentenversichert war.
Auf Grund der aktuellen Entwicklungen muss allen Unternehmen branchenunabhängig geraten werden, ihr Geschäftsmodell und ihre Vertragsverhältnisse zu überprüfen, ob (schein)selbständige Auftragnehmer eingesetzt werden. Die Prüfung der Scheinselbständigkeit sollte einem Vertragsschluss zwingend vorgeschaltet oder schnellstmöglich nachgeholt werden. Gegebenenfalls sollte Scheinselbständigkeit als eigenes Risikofeld in ein Compliance Management System integriert werden.
Sofern Scheinselbständigkeit im Unternehmen zum Thema wird, sollte so schnell wie möglich rechtlicher Rat gesucht werden, bestenfalls, bevor die Deutsche Rentenversicherung aufmerksam wird. Spätestens mit Erhalt eines Anhörungsscheibens nach der Betriebsprüfung ist eine fachkundige rechtliche Beratung unvermeidlich, um Schaden abzuwenden oder zu begrenzen.