Interviewerin:
Mit Ihren Forschungsschwerpunkten bewegen Sie sich an der Schnittstelle zwischen Politik- und der Agrarwissenschaften. Was ist in Ihren Augen mit diesem speziellen Hintergrund die größte Herausforderung für die Landwirtschaftspolitik?
Prof. Dr. Dr. Christian Henning:
Die größte Herausforderung stellen heute die sich ganz klar abzeichnenden neuen gesellschaftlichen Trends, insbesondere in Richtung Nachhaltigkeit, dar. Für die Landwirtschaft bedeutet dies: Mehr Ökosystemleistungen, d.h. Reduktion der CO2 Emissionen und der Nitratdrift sowie eine Steigerung der Biodiversität, effizient und effektiv bereitzustellen. Effizient heißt, dass die Landwirtschaft nicht nur mehr Ökosystemleistungen erbringt, sondern dabei auch auf möglichst wenig konventionelle Produktion verzichtet. Effektiv bedeutet, dass man die Erbringung der Ökosystemleistungen nicht an einfachen Narrativen wie zum Beispiel der Förderung von Ökolandbau festmacht, sondern diese mit Hilfe konkreter wissenschaftlich fundierten Indikatoren misst und honoriert. Insbesondere muss diese Honorierung dynamische Anreize für Landwirte setzen, in neue Technologien zu investieren, die eben noch nachhaltiger und produktiv sind, d.h. mehr Ökosystemleistungen und gleichzeitig auch hochproduktiv konventionelle Agrarrohstoffe herstellen können. Technischer Fortschritt umfasst konventionelle Produktion und Nachhaltigkeit! Und wir brauchen innovative Technologien um die dringenden globalen Entwicklungsprobleme: Klima- und Ernährungskrisen zukünftig zu bewältigen!
Interviewerin:
Wie können die Landwirt*innen und die Agrargenossenschaften auf den Nachhaltigkeitstrend reagieren? Was müssen sie also tun?
Prof. Dr. Dr. Christian Henning:
In erster Linie stellt die Umsetzung einer nachhaltigen Landnutzung eine Herausforderung für die Politik da! Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die Anreize für Unternehmer bieten, gesellschaftlich gewünschte Ökosystemleistungen zu produzieren. Dann werden effiziente Technologie automatisch durch die unternehmerische Innovationskraft eingesetzt bzw. dynamisch entwickelt. Eine bürokratische Vorgabe spezieller Technologien ist immer ineffizient, da diese Unternehmeranreize blockiert bzw. falsch setzt. Ein Narrativ ist zum Beispiel, dass die Förderung der ökologischen Landwirtschaft eine adäquate politische Maßnahme ist, um Ökosystemleistungen effektiv bereitzustellen. Aber ökologische Landwirtschaft, ist eine administrativ definierte statische, „nach hinten gerichtete“ Produktionstechnik, die einerseits viele Ökosystemleistungen gar nicht hinreichend bereitstellt und logischerweise grundsätzlich immer noch verbessert werden kann und muss. Umgekehrt führt der Markt allein ebenfalls zu den falschen Anreizen, da wichtige Ökosystemleistungen wie Wasser- und Klimaschutz über den Markt nicht hinreichend honoriert werden können. Wir brauchen politische Steuerungsmechanismen, die gesellschaftliche Bedürfnisse in korrekte Anreize für die Landwirte übersetzen. Wenn die Anreize richtig gesetzt sind, dann wird der dynamische Wettbewerb zwischen den landwirtschaftlichen Unternehmern dafür sorgen, dass die gewünschte Trendwende effektiv umgesetzt wird. Ein anderer Aspekt, in dem Landwirte gefordert sind, ist ihre aktive Rolle in dem gesellschaftspolitischen Diskurs. Leider wird die politische Nachhaltigkeitsdebatte gerade auch in Deutschland sehr emotional und nicht auf einer wissenschaftlich fundierten Sachebene geführt. Das heißt, es besteht die realistische Gefahr, dass mittelfristig die agrarpolitische Umsetzung auf der Grundlage vereinfachter und verzerrter Narrative erfolgt. Zum Beispiel, dass Ökologische Landwirtschaft mit effizienter nachhaltiger Landnutzung gleichgesetzt wird. Dies wäre ohne Frage eine erhebliche Fehlentwicklung, die vorhandene Potentiale einer nachhaltigen Landwirtschaft in erheblichem Maße verschenkt. Allerdings können sich die Konsumenten in reichen Industrieländern, wie Deutschland, solche Fehlentwicklungen in den nächsten 20 Jahren durchaus leisten. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Landwirtschaft hier weniger als 1% der gesamten Wirtschaftsleistung erbringt. Daher sind es dann ausschließlich die betroffenen Menschen, das sind die Landwirte, die von dem Sektor leben, aber auch engagierte Klima,- und Umweltschützer, die von dieser Fehlentwicklung stark benachteiligt wären. Insofern brauchen wir einen Schulterschluss von Landwirten und Natur- und Umweltschützern, um der Politik hinreichende Anreize zu geben, nicht weiter zu versagen und endlich die Win-Win Situation einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft für die Gesellschaft herzustellen. Hier sind politisches Engagement und eine kluge politische Kommunikation der landwirtschaftlichen Interessenorganisationen gefragt.
Interviewerin:
Das heißt kurzum die Landwirt*innen und Agrargenossenschaften sollten jetzt aktiver für Ihre Interessen einstehen und die politischen Rahmenbedingungen mitgestalten?
Prof. Dr. Dr. Christian Henning:
Ganz genau. Und, wenn ich das noch spezifizieren darf: Insbesondere müssen Sie eben wesentlich aktiver ihre Bereitschaft signalisieren, die gesellschaftlich gewünschten Ökosystemleistung zu produzieren. Bislang nehmen die Landwirte die Forderung nach mehr Ökosystemleistungen vorwiegend als Regulation wahr, also als eine Einschränkung, gegen die man sich wehren muss. Um die Gesellschaft zu erreichen, ist es aber klüger, der Gesellschaft klarzumachen, dass man ein guter Partner ist, um all die Nachhaltigkeitsziele, die die Gesellschaft vernünftigerweise anstrebt, zu erreichen – nur eben auf eine effektive und effiziente, aber auch sozialgerechte Art und Weise, gerade letzteres beinhaltet dann aber auch, dass realen Kosten auch real kompensiert werden.
Interviewerin:
Das heißt, Dialog ist hier das Stichwort?
Prof. Dr. Dr. Christian Henning:
Ganz genau: Dialog ist das Stichwort. Im Moment ist bei den Bauern aber eher eine Abwehrhaltung zu beobachten, was ich verstehen kann, weil man sich sehr an die Wand gedrängt fühlt und immer als der Schuldige, derjenige, der es falsch macht, dargestellt wird. Faktisch ist dies definitiv nicht wahr und deshalb müssen sich die Landwirte aus dieser „Schwarzer-Peter“-Rolle aktiv befreien.
Interviewerin:
Inwiefern sehen Sie denn die Agrargenossenschaften als das zukunftsfähige Organisationsmodell für eine nachhaltige Landwirtschaft?
Prof. Dr. Dr. Christian Henning:
Zur effektiven Umsetzung nachhaltiger Landnutzung brauchen wir neue Organisationsformen jenseits von Staat und Markt. Ein kurzes Beispiel: Ökosystemleistungen – wie z.B. Biodiversität oder auch Wasserschutz – werden nicht von individuellen Betrieben, sondern in verbundenen Gebietskulissen erbracht. Das heißt es sind am Ende alle Betriebe in einer Region oder Gemeinde, die gemeinsam wie ein Netzwerk, Ökosystemleistung erbringen. Dafür braucht man eine geeignete Organisationsform, die die Kooperation zwischen den Betrieben effektiv gestaltet. In diesem Zusammenhang, denke ich, dass die landwirtschaftliche Genossenschaft ohne Frage schon eine sehr gut angelegte Grundkonzeption aufweist, die diese Kooperation dann sehr gut leisten kann.
Interviewerin:
Welche Maßnahmen können von Seiten der Politik – ich betone – kurzfristig umgesetzt werden, um die Landwirt*innen jetzt zu entlasten?
Prof. Dr. Dr. Christian Henning:
Also wenn wir nur über die Entlastung sprechen, dann muss man erst mal klären, wieweit diese gehen soll. Ohne Frage gibt es individuelle Betriebe, die wirklich aufgrund dieser besonderen Krisenumstände und des strukturellen Wandels, der derzeit läuft, in Engpässe kommen, und Unterstützung brauchen. Zur Unterstützung dieser Betriebe sind gezielte direkte Einkommenstransfers aus meiner Ansicht dann ein adäquates politisches Instrument. Gezielt heißt aber, dass man nicht einfach eine Pauschale pro Hektar an alle Betriebe bezahlt, sondern diese Transfers müssen schon auf bedürftige Betriebe bzw. Betriebsleiter fokussiert sein. Kurzfristige Maßnahmen zur Abfederung der aktuellen Krisensituation sind wichtig, aber mit Sicherheit nicht der vordringlichste Bereich, in dem die Politik aktuell gefordert ist. Der dringlichste agrarpolitische Handlungsbedarf umfasst trotz aktueller Krisen m.E. die Implementation innovativer politischer Maßnahmen, die klare Anreize für landwirtschaftliche Unternehmer setzen, gesellschaftlich geforderte Ökosystemleistungen sowie benötige klassische Agrarrohstoffe effizient zu produzieren. Dies wären zum Beispiel Permit-Systeme, das sind Umwelt-Zertifikate, die handelbar sind. Diese werden bereits zur Reduktion der THG-Emissionen in industriellen Sektoren in der EU eingesetzt. Permit-Systeme sind auch zur effizienten Steuerung der Ökosystemleistungen in der Landwirtschaft hervorragend geeignet. Zwar gibt es bislang noch juristische und technische Schwierigkeiten, die aber gelöst werden können. Daran sollte die Politik jetzt mit Hochdruck arbeiten, damit diese möglichst schnell implementiert werden können.